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Das Ende des «alten» Berufs – oder Berufe neu denken

Veröffentlicht am 02.06.2020
Das Ende des «alten» Berufs – oder Berufe neu denken
Was über Jahrzehnte hervorragend funktioniert hat und zu einem grossen Teil auch mitverantwortlich für den wirtschaftlichen Erfolg der Schweiz ist, wird plötzlich infrage gestellt: Die klassische Berufsbildung. Dies muss aber nicht unbedingt ein Nachteil sein – wer es schafft, die Vorteile der Berufsbildung mit permanenter Veränderung zu kombinieren, wird profitieren.

von Fabio Aresu, Markeningenieur, Spezialist für Employer Branding und Organisator des Jungunternehmerforums Graubünden sowie Dozent für Wirtschaftskommunikation

Die Anforderungen an einzelne Berufsgruppen haben in vielen Fachbereichen eine Komplexität erreicht, die nicht mehr in einem klassischen Rahmen erlernbar sind. Die Unterteilung in Spezialisten und Generalisten greift dabei ebenfalls zu kurz, da eine Trennung in den meisten Projekten nicht in der geforderten Zeit zum Ziel führt. 
Die Anforderungen sind klar: Gefragt sind effizientes Projektmanagement und angewandtes Fachwissen, gepaart mit kreativen neuen Lösungsansätzen. Die Fähigkeit, mit anderen zusammenzuarbeiten, wird zum Schlüssel für erfolgreiche Projekte.

Nachteile der bisherigen Berufsbildung

Die heute bekannte und anerkannte Ausbildung – wie auch in weiten Teilen die berufliche Weiterbildung – hat eine empfindliche Schwäche: Wissen wird retrospektiv vermittelt. Oder in anderen Worten: Man versucht heute mit Werkzeugen von gestern Probleme von morgen zu lösen. Prüfungsfragen sind systembedingt bereits am Tag der Prüfung selbst teilweise veraltet. Ein Studium ist hier übrigens mit wenigen Ausnahmen nicht besser, da die gleiche Methodik zugrunde liegt.

Day One Company: Sinnbild der Zukunft

Jeff Bezos, Gründer von Amazon, hat den Begriff «Day One Company» geprägt. Das heisst, dass sich jedes Unternehmen ungeachtet seiner Ausrichtung und Grösse so verhalten soll, als sei es ein Start-up, das sich seinen Platz im Markt immer wieder neu finden und erkämpfen müsse. Das klingt auf den ersten Blick enorm anstrengend. Die zugrunde liegende Logik aber ist einleuchtend: Kein Beruf besteht als Selbstzweck, sondern dient dazu, bestimmten Herausforderungen gewachsen zu sein. Und da wir in einer hochagilen, komplexen und vernetzten Welt leben, hinkt das gelernte Wissen den aktuellen Anforderungen praktisch immer hinterher.

Das Beste beider Welten kombinieren

Die schlechte Nachricht zuerst: Etwa die Hälfte der jetzt bekannten Berufe wird in den nächsten 50 Jahren verschwinden. Die Gute: Sie werden ersetzt durch komplett neue Anforderungsprofile. Eine Berufslehre oder ein Studium ist nach wie vor eine gute Grundlage, aber dies alleine wird nicht mehr das finanzielle Auskommen für das gesamte Leben garantieren können. Zunehmend wichtiger werden grundlegend neue Erfahrungen sein, die idealerweise aus anderen Branchen oder Studienbereichen kommen. Neues Wissen und Können entsteht immer aus der Verbindung von zwei oder mehr Fachbereichen, die auf den ersten Blick komplett unterschiedlich sind.

Wir sind, was wir zu lernen vermögen

Es ist ähnlich wie beim Lehren: Die Aufgabe der Dozenten besteht nicht darin, jemandem etwas beizubringen, sondern dass jemand etwas Bestimmtes lernt und diese Erkenntnis auf weitere Herausforderungen übertragen kann. Berufsleute der Zukunft werden dann am erfolgreichsten sein, wenn sie konkrete individuelle Probleme lösen können, auch wenn die Rezepte dazu noch in keinem Lehrbuch standen. Dies bedingt, dass man Ursache und Begleitumstände erfasst, versteht und weiss, wo und wie man Hilfe zur Selbsthilfe findet. Um den Kreis zu schliessen: Das mag zwar das Ende des klassischen Berufsverständnisses sein. Aber es ist zugleich eine grosse Chance, sich nicht am Anfang des Berufslebens auf immer und ewig festlegen zu müssen. Wir sind nicht, was wir gelernt haben, sondern, was wir noch zu lernen vermögen.