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«Ja, ja ich verstehe dich – aber...!»

Veröffentlicht am 06.04.2024
«Ja, ja ich verstehe dich – aber...!»
Gutes Teamwork lebt von Verständigung. Was leicht klingt, hat in der praktischen Umsetzung seine Tücken. Menschen sind in vielerlei Hinsicht verschieden. Diese Unterschiedlichkeit wird oft unterschätzt. Typischerweise schliesst man von sich auf andere – und wundert sich über entstehende Missverständnisse. Einfühlung und ein geschickter Umgang mit Verschiedenheit stärken die gute Zusammenarbeit.
von Sina Bardill, Psychologin FSP und Supervisorin/Coach BSO

Ja, aber das ist doch klar!» oder «Wie kann man etwas nur so kompliziert angehen?» Solche und ähnliche Sätze kennen wohl alle – entweder werden sie gedacht oder auch ausgesprochen. Dabei schliesst man ganz ohne Hintergedanken von sich selbst auf andere und kann dabei falsch liegen. Die Anekdote des Brotanschnittes illustriert dieses ‚Problem‘: Jahrzehntelang überlässt der Ehemann liebevoll seiner Frau den Anschnitt, obwohl er ihn selbst gerne hätte. Sie hingegen denkt, dass ihr Mann wie sie auch eine Brotscheibe mit wenig Rinde bevorzugt und isst daher ihrem Mann zuliebe den Anschnitt.
 
Die Ähnlichkeit wird überschätzt
Diese Geschichte zeigt: Menschen sind verschieden und ohne Kommunikation über die eigenen Bedürfnisse kann niemand wirklich wissen, wie der oder die andere tickt. Allzu häufig wird diese Kommunikation unterlassen und es werden Dinge vorschnell vorausgesetzt: Während die eine Person gerne telefoniert und sich kaum vorstellen kann, warum ein Telefonat für andere Menschen eine Herausforderung darstellt, bevorzugt die andere Person den E-Mail-Verkehr, da man sich hier in aller Ruhe mit der Thematik auseinandersetzen und die Argumente niederschreiben kann. Oder: Den einen liegt eher das Überlegen und Abwägen, während den anderen das Ausprobieren und daraus Lernen besser liegt. Das sind zwei Aspekte, die beispielsweise in der Zusammenarbeit zwischen eher introvertierten und eher extravertierten Menschen regelmässig zu Spannungen und Missverständnissen führen können, weil man von sich aus auf andere schliesst und davon ausgeht, dass es eine ‘richtige’ Art gibt, die Dinge anzugehen. Selbstverständlich könnte man hier noch eine Unmenge anderer menschlicher Unterschiede auflisten, die zu Verständigungsproblemen führen können.
 
Perspektivenübernahme ist schwer
Es ist harte Arbeit, einen Menschen zu verstehen, der anders funktioniert als man selbst. Allzu gern meint man, deren Auffassung verstanden zu haben; schwenkt dann aber sofort auf die eigene Sicht der Dinge und versucht, den anderen für ebendiese zu gewinnen. Echte Perspektivenübernahme aber bedeutet, sich für das Gegenüber und dessen Funktionsweise, Ansichten und Einschätzungen wahrhaftig zu interessieren: Was ist ihm oder ihr wichtig? Warum ist das so? Kann ich sein oder ihr Verhalten verstehen und nachvollziehen – auch wenn ich persönlich anders reagiert hätte? Kann ich mich vielleicht sogar emotional auf eine solche fremde Art einlassen und versuchen, die Gefühle mitzuempfinden? Letzteres ist unter anderem dank der sogenannten Spiegelneuronen im Gehirn möglich, die uns eine solch tiefgehendes Einfühlungsvermögen ermöglichen: Sieht man zum Beispiel wie sich jemand anderes weh tut, zuckt man selbst zusammen und kann den Schmerz einen Moment lang buchstäblich selbst fühlen. Ähnlich können wir auch den Ärger oder die Befürchtungen eines anderen Menschen nachvollziehen.
Es hilft, diese Art der Perspektivenübernahme immer wieder zu üben. Ohne Kommunikation geht es aber nicht – nachfragen und sich wirklich für das Gegenüber interessieren ist die Devise. Nicht zuletzt ist es wichtig, diese Fähigkeit auch in Bezug auf sich selbst weiterzuentwickeln, denn nicht nur das Verständnis für die Bedürfnisse der anderen ist elementar für gute Kommunikation – auch die eigenen Bedürfnisse, Ansichten und Einschätzungen müssen erkannt und verstanden werden. Man muss für sich selbst einstehen können, ansonsten könnte Perspektivenübernahme zu einer ungesunden Überanpassung führen. Es ist also hilfreich, verschiedene Perspektiven gleichzeitig sehen und nachvollziehen zu können. Möglicherweise führt dies auch zu weniger Ärger und Konflikten, ganz nach Erich Kästners Vorsatz: «Mensch, ärgere dich nicht. Wundere dich bloss.» Andere Menschen sind eben anders und bringen einen immer wieder zum Staunen – und vermutlich wundern sie sich genauso oft über einen selbst.

Bild: zVg