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Unscheinbar oder unschätzbar? Qualitäten sichtbar machen

Veröffentlicht am 29.03.2023
Auch unscheinbare Leistungen haben einen grossen Einfluss auf den Erfolg einer Sache
Es gibt viele berufliche Qualitäten, die nichts Auffälliges an sich haben. Pünktlich und vorbereitet an einer Sitzung zu erscheinen und dann wirklich präsent zu sein, mag für manche Menschen eine Selbstverständlichkeit sein. Und es kommt ihnen gar nicht in den Sinn, dies als Qualitäten wahrzunehmen, die sie auszeichnen. Den anderen oft auch nicht.

von Sina Bardill, Psychologin FSP und Supervisorin/Coach BSO

Es gibt viele Eigenschaften und Kompetenzen, die in der Erfüllung von Aufgaben und in der Zusammenarbeit einen grossen Unterschied machen. So zum Beispiel die Sorgfalt: Überlegt eine Person, bevor sie handelt? Berücksichtigt sie alle wichtigen Aspekte und respektiert andere Bedürfnisse und Anliegen? Oder auch die Konzentrationsfähigkeit: Kann jemand fokussiert bei der Sache bleiben und Aufgaben konzentriert und präzise bis zum Schluss erledigen? Auch die Beharrlichkeit gehört zu ebendiesen Eigenschaften: Eine beharrliche Person arbeitet gewissenhaft und ausdauernd, bringt wenn nötig Geduld auf und lässt nicht locker, auch wenn es Hürden zu überwinden gibt. Auch Einfühlsamkeit ist eine «stille» Qualität und wird eher vermisst, wenn jemand wie ein Elefant im Porzellanladen sein eigenes Ding verfolgt aber nicht unbedingt als Stärke wahrgenommen, wenn sie da ist. Ein letztes Beispiel ist das Zuhören: Für gelingende Kommunikation ist es elementar, nicht nur zu senden, sondern auch korrekt zu empfangen. Gute Zuhörerinnen und Zuhörer sind in vielen Bereichen extrem nützlich und hilfreich, beschleunigen Prozesse und umgehen Leerläufe und Fehler durch Missverständnisse. Aber auch das gute Zuhören wird vor allem dann zum Thema, wenn es fehlt – es ist selbst eben gerade nicht hör- oder sichtbar.  

Was die Welt zusammen hält

Sind diese Potenziale altmodisch? Die gegenwärtige Berufswelt ist von ganz anderen Schlagwörtern geprägt: schnelle Lösungen, effizient (was denn auch immer damit gemeint ist, wenn man die Langfristigkeit nicht mitdenkt), marktschreierisch und selbstdarstellerisch sein und mit allem möglichst viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Das ist scheinbar das Rezept für persönlichen beruflichen Erfolg und auch für geschäftliches Gedeihen und Produktivität. Leider geht genau dies auf Kosten von langfristigem Gelingen, von Nachhaltigkeit, auch der Gesundheit von prozentual immer mehr Erwerbstätigen. Viele der aktuellen Problemfelder hängen genau mit dieser ungesunden Einseitigkeit in der Bewertung von Potenzialen zusammen. Denn ohne all die Menschen mit den oben genannten Qualitäten in der Arbeitswelt würde das ganze System nicht (mehr) funktionieren. Genau diese stillen Beiträge im Hintergrund halten alles zusammen. 

Unsichtbares sichtbar machen 

Die im ersten Abschnitt genannten Potenziale charakterisieren typischerweise introvertierte Personen. Genau sie bieten mit ihrer sachorientierten Art oft den Kleber, der Projekte zusammenhält und bis zu einem erfolgreichen Abschluss führt. Sie sind es, die in der Zusammenarbeit Verständnis, ein offenes Ohr für andere, einen respektvollen Umgang leben und sich gut in den Dienst des Ganzen stellen können. Allzu viel Aufmerksamkeit auf Persönliches ist ihnen eher unangenehm. Lieber erledigen sie konzentriert und genau, manchmal sogar perfektionistisch ihren Job und ziehen die Befriedigung daraus. Leider bekommen sie dafür häufig nicht die angemessene Wertschätzung. Denn unscheinbar heisst nur allzu oft auch unsichtbar. 

Es gilt deshalb, diese zentralen Beiträge ins Rampenlicht zu rücken – für Vorgesetzte, fürs HR, auch in Bewerbungs- und Beförderungsverfahren. Die Introvertierten selbst leisten ihren Beitrag dazu, wenn sie wissen, wie wichtig ihr Arbeitsstil fürs Gelingen und für gute Arbeitsergebnisse ist. Und wenn sie immer mal wieder, bei guten Gelegenheiten, auch selbstbewusst darauf hinweisen.

Dr. Sina Bardill – Psychologin
www.gestaltungs-raum.ch
Telefon 081 651 50 43

Bild: zVg