von Sina Bardill, Psychologin FSP und Supervisorin/Coach BSO
Das Zeitalter der Dominanz der Verstandeskräfte, die Hochblüte des Rationalen, ist vorbei. Zu offensichtlich ist es, dass der Gebrauch des Verstands zwar zu sehr vielen Fortschritten führt, aber damit gleichzeitig auch sehr viele Probleme kreiert. Und um komplexe Probleme zu lösen, braucht es alle möglichen Kanäle des Menschen, seine Kreativität, seine sozialen Kompetenzen und auch sein «Bauchgefühl».
Einerseits befindet sich im Darmbereich wirklich ein bedeutender Teil des Nervensystems, es bildet sozusagen ein Darmhirn, welches in vielerlei Hinsicht unsere Situationseinschätzungen und unser Handeln beeinflusst. Gleichzeitig gehören zum Bauchgefühl auch zahlreiche unterschiedliche Emotionen: Irritation, Unbehagen, Befürchtungen (oft unbewusst), Missmut oder auch Anziehung, Lust, Hoffnung. Oft werden diese Empfindungen dem Bauchgefühl zugerechnet – weil sie nicht im abstrakt-logischen Denken lokalisiert werden und manchmal auch schwer zu erklären sind. Woher diese Gefühle physiologisch kommen, ist in den komplexen Zusammenhängen von Hirnstoffwechsel, Hormonsystem und zentralem und peripherem Nervensystem gar nicht so leicht festzumachen. Vom Erleben her sind diese Informationen nicht selten deutlich und melden sich insbesondere verbunden mit körperlichen Wahrnehmungen.
So kann der eigene Körper wie ein empfindliches Instrument sein, welches verlauten lässt, wie das gesamte System eine Situation, eine Entscheidung oder auch einfach so das Hier und Jetzt beurteilt. Dieser Seismograf funktioniert so, dass das Bauchhirn seine Einschätzungen gewissermassen in den Körper hinein schreibt. Diese wertvollen Informationen zu nutzen beginnt damit, solche Abbildungen des Bauchgefühls im Körper gezielt aufmerksam zu beobachten. Angespannt im Bauch, im Nacken oder im Kiefer? Eher warm oder teilweise kühl? Kribbelt es, zieht es oder drückt es? Ist das gesamte System gut ausbalanciert oder in einem bestimmten Ungleichgewicht? Was dominiert, was liegt ausserhalb der Aufmerksamkeit? Zu dieser Körperwahrnehmung kommt dann die Wahrnehmung der emotionalen Verfasstheit hinzu. Mit der warmen Weite im Bauch ist Freude und Unbeschwertheit verbunden. Oder mit dem säuerlich-angespannten Nacken Gefühle von Druck und Belastung.
Sobald diese Wahrnehmungen bewusst werden, können sie als Informationen dienen. Was sagt dieses Befinden über die nötige Entscheidung oder das anstehende Problem? Es geht also nicht darum, das «Bauchgefühl» allein über die Gestaltung der nächsten Schritte entscheiden zu lassen – sondern darum, in eine gute Partnerschaft mit allen möglichen Beiträgen aus dem eigenen Organismus zu kommen: Kopf und Bauch zusammen.
Besonders informativ sind die Emotionen, die immer mit den Körperempfindungen verbunden sind. Die Idee, dass ein emotionsloses und sachliches Vorgehen das Richtige im beruflichen Umfeld ist, hat sich überlebt. Es wäre sehr schade, alle zusätzlichen Ressourcen, die das menschliche Potenzial ausmachen, nicht zu nutzen! So berücksichtigen immer mehr Business-Modelle und -Tools auch im beruflichen Kontext diese erweiterte Ebene – ob es um kreative Ideenentwicklung, Entscheidungs- oder Problemlösungsfindung oder um das konstruktive Miteinander geht.
Die Grundlage für eine solche ganzheitliche Herangehensweise ist es, sich selbst (und andere) nicht als Leistungs-Maschine zu sehen und zu «nutzen», sondern als denkendes und fühlendes Wesen mit einer Geschichte. Ein interessierter, aufmerksamer und liebevoller Umgang mit sich selbst öffnet Türen und Schätze im Innen, führt jedoch auch zu tragfähigen Aktivitäten und Beziehungen im Aussen und damit verbunden zu mehr Gelingen und Inspiration in allen Kontexten.
Sina Bardill
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Bild: zVg.