von Fabio Aresu, Markeningenieur, Spezialist für Digital Business, Engineering, Employer Branding und Organisator des Jungunternehmerforums Graubünden
Was die meisten Start-ups gemein haben, ist die zugrunde liegende Idee. Niemand gründet ein Unternehmen und überlegt sich dann, was man machen könnte. Am Anfang steht immer eine Idee, eine Vision oder eine neue Form für eine konkrete Problemlösung.
Gleichzeitig ist es für jedes junge Unternehmen völlig klar, dass es ins kalte Wasser springt und schwimmen muss, koste es was es wolle. Sich permanent und rasch verändernde Um- und Widerstände gehören für sie zum Normalzustand, nicht zur Ausnahme. Und um die richtigen Mitstreiter zu finden, die bereit sind, auch ausserhalb der Komfortzone zu arbeiten, braucht es mehr als einen hohen Lohn, nämlich Werte und Sinnhaftigkeit. Drei Punkte, die von vielen «klassischen» Unternehmern und Unternehmerinnen oft vernachlässigt werden.
Im Tagesgeschäft wird es oft etwas hektisch. Informationen prasseln auf unterschiedlichsten Kanälen auf die Mitarbeitenden ein, die Infos wollen sortiert werden, das Gegenüber erwartet ja eine rasche Antwort. Unternehmer sind meist im Reaktions-Modus und vergessen, selbst die Zügel in die Hand zu nehmen und zu agieren. Meist geht hierbei etwas Wichtiges verloren – der Fokus aufs Wesentliche. Hier hilft es, sich regelmässig zu fragen, welche Ziele weshalb verfolgt werden, was hilft, diese zu erreichen und wo man in Zukunft öfters Nein sagen sollte. Der zentrale Punkt dabei ist, dass dies nicht nur auf Leitungsebene passiert, sondern das ganze Unternehmen informiert sein muss. Damit alle am gleichen Ende desselben Stricks ziehen.
Die Digitalisierung von Geschäftsprozessen und Dienstleistungen hat viele gewichtige Vorteile – aber einen grossen negativen Effekt auf den Menschen: Sie beschleunigt die Abläufe derart, dass das menschliche Hirn nicht mehr mithalten kann. Das verunsichert und lähmt, weil zu viele Optionen auf dem Tisch liegen. Folge: Aus Angst vor falschen Entscheidungen wird nicht mehr entschieden. Und das ist die wohl schlechteste Antwort auf den Wandel. Eine Hilfestellung kann sein, sich nicht zu hinterfragen, was man anbietet, sondern wie. Das «was» bleibt konstant, das «wie» verändert sich permanent. Wenn man diese Sichtweise verinnerlicht, wird der Wandel plötzlich zur Chance und zur Motivation.
Gemäss eines Artikels in der Handelszeitung zeigt sich aktuell gut die Hälfte aller Angestellten in der Deutschschweiz offen für einen beruflichen Wechsel. Corona hat diese Tendenz wohl verstärkt, ist aber nicht der Hauptauslöser. Mitarbeitende suchen Sinnhaftigkeit in der Tätigkeit, wollen ernstgenommen und individuell gefördert werden.
Dies bringt KMU und grössere Unternehmen plötzlich in eine neue Situation. Sie müssen sich aktiv bei zukünftigen Mitarbeitenden bewerben und Perspektiven bieten. Was lange ein Papiertiger war, ist nun Realität; Marketing-Blabla zieht nicht mehr, Plattformen wie kununu werden immer öfter konsultiert, negative Bewertungen halten potenzielle Bewerberinnen und Bewerber ab.
Auf der anderen Seite ist nichts wertvoller, als den richtigen Menschen am richtigen Ort zu haben; Motivation, Leistung und Loyalität steigen und alle sind bereit, im Bedarfsfall die Extrameile zu gehen.
Es mag auf den ersten Blick ziemlich mühsam klingen, sich permanent als Start-up zu fühlen und auch so zu agieren. Faktisch ist es jedoch eine Realität, denn Marktsituation und Mitbewerber ändern sich stetig und rasend schnell.
Gleichzeitig sucht der Mensch Sicherheit und Beständigkeit. Paradoxerweise schliesst das eine das andere nicht aus. Wenn eine klare, sinnvolle und langfristige Vision verfolgt wird, permanenter Wandel als Chance und nicht als Stresssituation wahrgenommen wird und sich die Teammitglieder in jeder Situation aufeinander verlassen können, dann stehen die Chancen sehr gut.
Und egal wie gross ein Unternehmen ist oder wie lange es schon auf dem Markt ist, ein Restrisiko bleibt immer. Das war schon immer so und wird auch immer so bleiben. Das ist Teil des Systems.
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