von Monika Meiler, Dozentin und Coach/Supervisorin HFP & BSO
Die edlen Absichten der Unternehmen, die sich nach aussen positionieren, in allen Ehren: Aber wenige Unternehmen leben heute bereits echte Diversität. Denn eine solche hat weder mit Quoten, dem Gendersternchen, noch mit der Klassifizierung «divers» im Recruiting-Verfahren zu tun. Sie fängt wesentlich früher an.
Unternehmen, die sich in dieser Hinsicht besser aufstellen wollen, sollten genauer hinsehen und das eigene Tun hinterfragen. Ist Diversität ein solch wichtiger Wert, dass er in Leitbild und Strategie Einzug gefunden hat? Überlegen sich die eigenen Führungskräfte, was Diversity-Kompetenzen sind und fördern darauf einzahlende Verhaltensweisen? Wird im Recruiting-Prozess darauf geachtet, möglichst divers einzustellen oder werden doch immer wieder die gleichen ins Boot geholt?
Das Problem an der Diversität ist: Sie nicht zu leben, ist für alle einfacher. Niemand muss sich umgewöhnen, sich selbst hinterfragen, keiner macht Fehler. Mit Menschen zu arbeiten, die alle recht ähnliche Voraussetzungen im Leben haben, führt zu wenig Missverständnissen. In Entscheidungsprozessen sind sich alle schnell einig, weil oftmals ein nur wenig voneinander abweichendes Mindset herrscht. Das ist bequem – auch bekannt als «Komfortzone».
Wenn ein Unternehmen eine Person im Rollstuhl einstellt, müssen sich Verantwortliche plötzlich auf vielen Ebenen hinterfragen, da sie mit dem Privileg, nicht beeinträchtigt zu sein, Probleme auf den ersten Blick gar nicht wahrnehmen. Was ist beispielsweise, wenn es brennt und die Fahrstühle nicht genutzt werden können? Ganz abgesehen vom Ernstfall, brauchen körperlich beeinträchtige Menschen in gewissen Bereichen andere Prozesse und Strukturen – und da ist Flexibilität gefragt.
Und diese Flexibilität lohnt sich, zahlreiche Studien belegen bereits, dass Diversität ein wahrer Innovationsbooster ist. Gemischte Teams, bestehend aus Menschen unterschiedlicher Geschlechter, Hautfarben, mit Migrationshintergrund, mit körperlicher oder psychischer Beeinträchtigung, aus verschiedenen Ebenen und Abteilungen, horizontal und vertikal gemischt, erzielen Lösungen, die durchdachter, inklusiver, erfolgreicher und innovativer sind. Wie sollen sonst neue Ideen entstehen, wenn sich nie jemand aus der eigenen Komfortzone bewegen muss?
Echte Diversity zu leben ist ein Prozess. Den Pride Month zu nutzen, um Farbe zu bekennen, darf gern der erste Schritt sein. Spätestens im zweiten braucht es aber die Selbstreflexion – ein ehrliches Hinschauen, wie gut das Unternehmen hinsichtlich sozialer Kompetenzen und Empathie aufgestellt ist. Es braucht die Neugierde an Unterschieden und Gemeinsamkeiten sowie echtes Interesse daran, die Menschen im Unternehmen als Individuen kennen und schätzen zu lernen.
Unternehmen müssen ihren Mitarbeitenden vermehrt ein Safe Space werden, also ein Raum, in dem sich alle angenommen und respektiert fühlen. Und das beginnt schon bei der Wortwahl: Jemanden zu «tolerieren» oder zu «akzeptieren» ist etwas ganz anderes, als jemanden zu «wertschätzen». Noch viel wichtiger: Unternehmen müssen Räume sein, in denen die Mitarbeitenden geschützt sind, in denen ihnen nicht jeden Tag durch Unachtsamkeit und unangebrachten «Humor» wehgetan wird. Diskriminierung ist leider heutzutage noch Alltag, und das verhindert echte, gelebte Diversität.
Bild: Filmbetrachter / Pixabay