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Schadenersatz nach Burn-out? Bundesverwaltungsgericht fällt Urteil

Veröffentlicht am 16.07.2020
Was genau löst ein Burn-out aus? Stress am Arbeitsplatz oder doch andere Überlastungen?
Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Dezember 2019 gibt einer Angestellten des Staatssekretariats für Migration (SEM) recht. Sie hat ihren Arbeitgeber nach einem Burn-out zu Schadenersatz und Genugtuung verklagt. Der Weg dorthin war lang, die Sachlage ist noch nicht vollständig geklärt. 

von Thomas Pfiffner, Leiter der IV-Stelle Graubünden

Eine Juristin, die beim Staatssekretariat für Migration für die Beurteilung von Fällen von Asylbewerbern und Abweisungen von Personen nach negativen Entscheiden zuständig war, hat ihren Arbeitgeber verklagt. Er soll seine Fürsorgepflicht verletzt haben, indem er ihren Warnungen vor Überforderung während der Personalgespräche zu wenig Rechnung getragen und sich zu wenig 
darum gekümmert hat, die belastende Situation zu entschärfen. Nach 70 Arztbesuchen innert drei Jahren, drei Personalgesprächen mit immer drängender vorgebrachtem Wunsch nach Entlastung sowie 66 Tagen Krankschreibung musste die Juristin mit einem Burn-out zu 100 Prozent krankgeschrieben werden. Berufliche Eingliederungsmassnahmen der IV scheiterten, die Frau bezieht seither eine IV-Rente.

Kausalzusammenhang als Problem

Das Burn-out, das in der bald in Kraft tretenden neuen internationalen Klassifikation ICD-11 von der Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 2019 als «Syndrom, das aus chronischem Stress am Arbeitsplatz hervorgeht, der noch nicht erfolgreich bewältigt wurde» bezeichnet wird, ist nach dieser Definition klar auf Belastungen am Arbeitsplatz begrenzt.
Andere Erschöpfungszustände wie beispielsweise eine Erschöpfungsdepression werden üblicherweise mit einer Überlastung in allen Lebensbereichen verbunden. Dass das Bundesverwaltungsgericht im Fall der Juristin entscheidet, dass explizit ihr Job der Grund für das Burn-out ist, ist bemerkenswert. Denn die Belegung des Kausalzusammenhangs zwischen Job und Burn-out, also das Ausschliessen anderer wesentlicher ursächlicher Faktoren für den Erschöpfungszustand, ist medizinisch wie juristisch sehr anspruchsvoll. Die Juristin hat sich über zwei Instanzen erkämpft, dass ihr Gesuch auf Schadenersatz und Genugtuung noch einmal durch die Vorinstanz untersucht werden muss.

IV früher einschalten

Im Urteil wird explizit darauf hingewiesen, dass der Arbeitgeber nach dem Feststellen der Situation unbedingt eine arbeitsmedizinische Abklärung in die Wege hätte leiten müssen. 
Zudem ist es wichtig, früh genug mit der zuständigen IV-Stelle Kontakt aufzunehmen. Diese hat Know-how, Erfahrung, wirksame Instrumente und ein gutes Netzwerk, um bereits zu Beginn einer Beeinträchtigung am Arbeitsplatz Unterstützung zu bieten. Die Spezialisten der IV können auf eine wirkungsvolle Verringerung des Stresses am Arbeitsplatz gemeinsam mit dem Arbeitgeber hinarbeiten und Betroffene und Arbeitgeber bei der Stabilisierung und Verbesserung der Situation unterstützen. 

Alternative Arbeiten prüfen

Für Arbeitgeber heisst das, künftig noch achtsamer zu sein, wenn sie Hinweise auf eine psychische Instabilität bei einem ihrer Angestellten spüren und die IV lieber früher als später einbeziehen. Sollte eine Krankschreibung unumgänglich sein, ist vielleicht eine teilweise Weiterbeschäftigung angezeigt. Mit einem Arbeitsplatzprofil, beispielsweise dem Ressourcenorientierten Eingliederungsprofil (REP) von Compasso, können Arbeitgeber, Arbeitnehmer und behandelnde Ärzte gemeinsam ermitteln, unter welchen Rahmenbedingungen ein Arbeitnehmer auch während der Behandlung weiterarbeiten kann.

Bild: Pixabay