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Muss mir mein Arbeitgeber meine Gratifikation bezahlen?

Veröffentlicht am 18.11.2015
Muss mir mein Arbeitgeber meine Gratifikation bezahlen? Was ist eine stillschweigende Vertragsabrede - südostschweizjobs.ch 1
Eine Mitarbeiterin ist seit vier Jahren beim jetzigen Arbeitgeber angestellt und hat bis anhin jedes Jahr zum Dezemberlohn eine Gratifikation zum 13. Monatslohn erhalten. In diesem Jahr erhielt sie ohne vorgängige Ankündigung, zum Dezemberlohn zusätzlich den 13. Monatslohn aber keine Gratifikation. Auf Nachfrage in der Geschäftsleitung, begründete man ihr den Entscheid durch das schlechte Geschäftsjahr des Betriebes. Kann die Mitarbeiterin dagegen rechtlich vorgehen?
Es gibt ganz klar einen Unterschied zwischen einem 13. Monatslohn und einer Gratifikation. Der 13. Monatslohn ist ein fester Lohnbestandteil und muss unabhängig davon, ob das Geschäftsjahr gut oder schlecht verlaufen ist, ausbezahlt werden. Der Anspruch auf den 13. Monatslohn wird im Arbeitsvertrag oder in den allgemeinen Anstellungsbedingungen geregelt. Dieser Anspruch erlischt auch nach einer Kündigung nicht und muss anteilsmässig ausbezahlt werden.
Da die Gratifikation grundsätzlich kein fester Lohnbestandteil ist, kann diese vom Arbeitgeber nach Ermessen ausbezahlt oder auch ganz weggelassen werden. Er kann die Gratfikation also in einem Jahr auszahlen und in einem anderen nicht auszahlen.

Von Gesetzes wegen stellen sich immer wieder Fragen oder tauchen Unklarheiten auf. Diese ergeben sich meistens daher, weil das Gesetz in OR Art322d von Gratifikation spricht und der 13. Monatslohn unter diese Bestimmung fällt. Vielfach wird die Gratifikation im schweizerischen Sinn aber anders verstanden und als Bonus oder Zusatz bei gutem Geschäftsjahr oder bei persönlicher guter Leitung angesehen.
 
Wenn über eine längere Zeit ohne Ausnahmen und Bemerkungen eine Gratifikation oder Bonus ausbezahlt wurde, wird diese als festen Lohnbestandteil angesehen, man spricht aus rechtlicher Sicht von einer stillschweigenden Vertragsabrede. Das ist eine Vertragsänderung, der beide Parteien stillschweigend zugestimmt haben. Wenn dies der Fall ist, wird die Gratifikation automatisch zum Lohnbestandteil und somit muss der Arbeitgeber die Gratifikation ausbezahlen, auch wenn es dem Unternehmen nicht gut geht. Die Rechtsprechung hat entschieden, dass wenn der Arbeitsgeber dreimal hintereinander eine Gratifikation/Bonus ausbezahlt und nicht ausdrücklich auf die Freiwilligkeit der Auszahlung hinweist, er die Verpflichtung eingeht, diese auch in Zukunft auszubezahlen. In diesem Fall kann die Arbeitnehmerin davon ausgehen, dass nach vier Jahren die Gratifikation nicht mehr als jährlichen Bonus verstanden werden muss, sondern zum festen Lohnbestandteil gehört. Somit kann der Arbeitgeber die Gratifikation/Bonus nicht durch ein schlechtes Geschäftsjahr streichen und die Zahlung kann rechtlich eingefordert werden. Aber auch hier gilt in speziellen Einzelfällen der Entscheid des Richters, ob bereits eine solche Verpflichtung des Arbeitgebers vorliegt
 
Eine weitere Begrenzung wird auch im Willkürverbot geregelt. Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber nicht willkürlich einzelne Mitarbeitende diskriminieren darf. Wenn er all seinen Mitarbeitern eine Gratifikation auszahlt, darf er nicht einer einzigen Arbeitnehmerin ohne qualifizierten Grund keine Gratfikation auszahlen. Wenn die Gratifikation vertraglich vereinbart wurde, dann müssen die Voraussetzungen, unter denen sie ausbezahlt wird, genau definiert sein. Wenn der Arbeitnehmer diese nicht erfüllt hat, dann hat er auch keinen Anspruch auf eine Auszahlung der Gratifikation.

Autor: Peder Kerber, KERBER COACHING
 

Art. 322d OR
 
4. Gratifikation
 
1 Richtet der Arbeitgeber neben dem Lohn bei bestimmten Anlässen, wie Weihnachten oder Abschluss des Geschäftsjahres, eine Sondervergütung aus, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch darauf, wenn es verabredet ist.
 
2 Endigt das Arbeitsverhältnis, bevor der Anlass zur Ausrichtung der Sondervergütung eingetreten ist, so hat der Arbeitnehmer einen Anspruch
auf einen verhältnismässigen Teil davon, wenn es verabredet ist.